Die Aarefälle waren ehemalige, von einer Sohlrampe erzeugte Stromschnellen in Thun. Die Fälle existierten von 1877 bis zum Bau des heutigen Flusskraftwerks zwischen 1959 und 1962.
Die hier gezeigten Aufnahmen stammen aus dem Stadtarchiv Thun und zeigen ein beinahe vergessenes Stück Flussgeschichte.
Wo befanden sich die Fälle?
Weshalb wurde die Sohlrampe errichtet?
Obwohl es bereits im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts Pläne für eine Aarekorrektion zwischen Thun und Uttigen gab, wurde das Projekt erst nach Eröffnung der Eisenbahnlinie Bern- Thun (1859) in Angriff genommen. Das ausgreifende Flussnetz beschädigte nämlich die Bahnanlagen bei Uttigen, weshalb nun auch die Centralbahn an einer Aarekorrektion interessiert war.
Abb. 3: Mit einem rund acht Kilometer langen Kanal beabsichtigte man das verwilderte Flussnetz zwischen der Zulgmündung und der Uttigenfluh zu beseitigen. Im künstlich verengten Flusslauf sollte die Strömung verstärkt werden, damit die Aare das Geschiebe aus der Zulg abführte, statt diesem nur auszuweichen und immer neue Flussarme zu erschaffen.
In Thun begann die stetig tiefer fliessende Aare schon bald Häuser und Brücken zu unterspülen, was schliesslich im Einsturz mehrerer Bauwerke gipfelte. Als ultimative Folge drohte sogar die Absenkung des Thunersees um mehrere Meter – mit allen absehbaren Folgen für Umwelt, Gewerbe und Schifffahrt.
Errichtung der Aarefälle
Ab 1877 wurden energische Massnahmen zur Stabilisierung der Sohle eingeleitet. Zuerst wurden die Endstücke von Innerer und Äusserer Aare mit steinernen Querschwellen befestigt. Einige Meter flussabwärts wurde dann eine Sohlrampe – die eigentlichen Aarefälle – errichtet, welche das Gefälle zum eingetieften Flusslauf überwand.
Funktionsweise der Sohlrampe
Die Oberfläche der Rampe wurde rau gestaltet, um einen hohen Fliesswiderstand zu erzeugen. Es ging darum, auf einer kurzen Strecke möglichst viel Energie und Gefälle zu vernichten. Auch heutige Sohlenbauwerke beruhen auf diesem Prinzip.
Bauarbeiten und Unterhalt
Abb. 10: Bauarbeiten im Sohlenbereich wurden in den abflussarmen Wintermonaten durchgeführt. Wie Bilder und Baupläne zeigen, wurde die Aare durch Schliessung der Seeschleusen sogar komplett abgestellt. Das überhaupt noch Wasser ins Flussbett gelangte, dürfte auf undichte Stellen der Seeschleusen zurückzuführen sein.
Die Stromschnellen als Wagnis
Abb. 13: Ab den 1920er- Jahren wurden die Stromschnellen einmal pro Jahr von den örtlichen Pontonieren befahren. Dieses Spektakel fand jeweils unter den Augen eines begeisterten Publikums statt und blieb bis zum Ende der Stromschnellen ohne Unfall.
Seit Eröffnung der Eisenbahnlinie Thun-Bern war die gewerbsmässige Schifffahrt auf der Aare im Niedergang begriffen. Güter konnten nun bequemer, schneller und sicherer auf dem Schienenweg transportiert werden. Die Errichtung der Aarefälle bedeutete schliesslich das endgültige Aus für die Flussschifffahrt zwischen Thun und Bern, da die Stromschnellen für die schwer beladenen Wedlinge unfahrbar waren.
Weniger glimpflich konnte das Durchschwimmen der Stromschnellen ausgehen. So kam im Jahre 1898, aufgrund einer unglücklichen Wette, ein Heizer der Selve-Werke in den reissenden Fluten zu Tode. Vorher war ihm die Durchquerung der Fälle bereits einmal gelungen.
Das Ende der Aarefälle
Mit dem Bau des Aarewerks 62 waren die Tage der Aarefälle gezählt. Die Stromschnellen verschwanden bis 1962 im Rückstau des neu errichteten Wehrs. Die alte Sohlrampe dürfte noch immer auf dem Grund des Staubereichs ruhen.
Zeitreise im Schwäbis
Abb. 22: Das ehemalige, oberhalb der Aarefälle liegende Stauwehr leitete ein Teil des Wassers in den noch heute existierenden Gewerbekanal. Damit wurde das alte Elektrizitätswerk betrieben (siehe Abb. 15). Interessanterweise sind die Wehrpfeiler bis heute erhalten geblieben. Links ausserhalb des Bildes befindet sich das Flussbad Schwäbis.
Merci
Vielen Dank an die Familie Gassner und die hilfsbereiten Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs Thun!
Literaturangaben
Tipp: Folgende Publikationen sind für interessierte Leserinnen aus dem Aaretal besonders empfehlenswert:
Anna Bähler (2007): Gebändigt und genutzt. Die Stadt Thun und das Wasser in den letzten 300 Jahren. Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, 69 Jahrgang, Heft 3, S. 158-160.
Andreas Hügli (2007): Aarewasser – 500 Jahre Hochwasserschutz zwischen Thun und Bern. Ott Verlag, Bern (2007). S. 113-114.
Weitere Literatur:
Paul Anderegg (1964): Die Entwicklung der Stadt Thun unter bernischer Herrschaft. Beiträge zur Thuner Geschichte, Band 4, S. 40-44.
Bildnachweis
Wer sich für die Fotos interessiert, findet diese unter den folgenden Signaturen im Stadtarchiv Thun:
Abb. 1: Archiv-Signatur: 3 16 S 14-40 1
Abb. 6: Archiv-Signatur: 4 2 S 54-20 10
Abb. 7: Archiv-Signatur: 3 16 S 2-0 5
Abb. 8: Archiv-Signatur: 3 16 S 2-0 31
Abb. 9: Archiv-Signatur: 3 16 S 12-20 2
Abb. 10: Archiv-Signatur: 3 16 S 2-0 7
Abb. 11: Bildausschnitt von Abbildung 10
Abb. 12: Archiv-Signatur: 3 16 S 2-0 4
Abb. 13: Archiv-Signatur: 4 1 S 1 1-28f 1
Abb. 14: Archiv-Signatur: 4 1 S 1 1-28f 2
Abb. 15: Archiv-Signatur: 3 16 S 16-2 3
Abb. 16: Archiv-Signatur: 3 16 S 16-135 2
Abb. 17: Archiv-Signatur: 3 16 S 16-138 3
Abb. 18: Archiv-Signatur: 3 16 S 16-135 5
Abb. 20: Archiv-Signatur (Bildausschnitt oben): 3 16 S 16-2 10
Abb. 21: Archiv-Signatur (Bildausschnitt oben): 3 16 S 16-2 3
Abb. 22: Archiv-Signatur (Bildausschnitt oben): 4 2 S 54-20 11