Flusskarte zum Abschnitt Aarberg – Büren
Diese Bilderstrecke ist insofern einzigartig, als dass sie einen komplett von Menschenhand erschaffenen Flusslauf zeigt. Als Teilstück der Juragewässerkorrektion fliesst die Aare nämlich seit bald 140 Jahren in den Bielersee.
Die Juragewässerkorrektion
Vorgeschichte
Bis 1878 strebte die Aare dem östlichen Seeland entlang nach Norden, wo sie bei Büren auf ihren noch heute existierenden Lauf traf. Dort nahm sie auch die Zihl auf, die damals noch als eigenständiger Fluss die Jurarandseen entwässerte.
Der ursprüngliche Aarelauf bei Lyss im Jahre 1877. Der Fluss besass hier nur wenig Gefälle, weshalb er das meiste Geschiebe ablagerte. Dies führte zu häufigen Ausbrüchen und Laufverlagerungen. Karte: Bundesamt für Landestopographie
Hochwasser wirkten sich im Seeland besonders verheerend aus, da sich das Wasser im flachen Gelände ungehindert ausbreiten konnte. Das Leben der damaligen Bevölkerung war von ständigen Rückschlägen, Armut und Krankheit gezeichnet. Eine Linderung der Not versprach die ab 1868 begonnene Juragewässerkorrektion.
Umsetzung und Funktionsweise
Funktionsweise der Juragewässerkorrektion. Blaue Pfeile: Normale Fliessrichtung. Orange Pfeile: Rückflüsse bei Hochwasser
Im Zuge der ersten Juragewässerkorrektion (1868-1891) wurde die Aare im künstlich errichteten Hagnekkanal in den Bielersee geleitet. Um die zusätzlichen Wassermengen wieder aus dem See zu führen, wurde vorgängig der natürliche Seeabfluss – die Zihl – zum Nidau-Büren-Kanal erweitert.
Neben der Aare wurden auch die natürlichen Flussläufe zwischen den Seen kanalisiert, damit das Wasser in beide Richtungen fliessen konnte. So wurden die drei Seen zu einer hydrologischen Einheit zusammengefasst, die bei Hochwasser als riesiges Rückhaltebecken dient.
Die Alte Aare ist ein Überbleibsel des ursprünglichen Flusslaufs zwischen Aarberg und Büren
Aarberg
Unterwasser des Kraftwerks Aarberg – ein Sinnbild der Trostlosigkeit
Bei Aarberg quert die Eisenbahnlinie Kerzers-Lyss den Fluss. Die Fachwerkkonstruktion wurde im Jahre 1938 errichtet
Hagneckkanal
Der acht Kilometer lange Hagneckkanal bildet das Kernstück der Juragewässerkorrektionen. Die mittlere Wassertiefe beträgt etwa zwei Meter
Einst eine sumpfige Schwemmebene, wurde das Seeland nach der Juragewässerkorrektion zum grössten Gemüseanbaugebiet der Schweiz
An dieser Stelle wurden die Uferbereiche des Kanals abwechslungsreicher gestaltet. Nun gibt es endlich Ruhezonen für Fische…
… die offenbar dankbar angenommen werden
Weidlinge im Unterwasserkanal des Kraftwerks Kallnach
Bei Wettfahrten der Pontoniere befinden sich in den markanten Holztürmen jeweils die Kampfrichter
EW-Kallnach
Das Wasserkraftwerk Kallnach befindet sich weit abseits der Aare. Es nutzt mithilfe eines unterirdischen Zulaufstollens das Gefälle zwischen Niederried-Stausee und Seeland. Das Kraftwerk nutzt nur einen kleinen Teil des Flusswassers.
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Zulaufstollen
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EW-Kallnach
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Unterwasserkanal
Walperswilbrücke
Hochwasserschutz
Die ausserordentlichen Hochwasser der vergangenen Jahre haben dem Hagneckkanal stark zugesetzt. Daneben traten aber auch altersbedingte Schäden auf, da vor der Jahrtausendwende nur wenig in den Hochwasserschutz investiert wurde. Mittlerweile wurden die Dämme jedoch umfassend saniert und verstärkt.
Die „lockere“ Dammkrone in der rechten Bildmitte bildet eine sogenannte Überlastsektion. Im Extremfall kann dort Wasser in eine flache Geländemulde austreten, womit andere Bereiche des Damms entlastet werden
Revitalisierung im Epsemoos
Dank der neuen Wasserbauphilosophie konnte auch die Natur von den Hochwasserschutzmassnahmen profitieren. Im Epsemoos, unterhalb der Walperswilbrücke, wurde das rechte Ufer zu einer hübschen Flusslandschaft aufgeweitet.
Abseits des Flusses wurden Lebensräume für Insekten, Amphibien und Reptilien geschaffen. Diese Arten bräuchten in der Schweiz etwa die doppelte Fläche, weshalb solche Massnahmen besonders verdienstvoll sind
Der neue Seitenarm führt ganzjährig Wasser. Dank einer lockeren Kiessohle entstanden neue Laichplätze für gefährdete Fischarten wie Äsche und Forelle
Hagneck-Durchstich
Am Hagneck-Durchstich passiert die Aare den etwa 34 m hohen Seerücken. Mit sechs bis acht Meter ist der Fluss hier sehr tief
Der Seerücken am rechten Ufer besteht aus instabilen Sandstein- und Mergelschichten. Während dem Hochwasser 2007 rutschte ein Teil des Hangs in die Aare, was deren Abflusskapazität empfindlich schmälerte
Ein abgetragener Sturzraum dient bei künftigen Hangrutschungen als Pufferzone. Gleichzeitig entstanden dort neue Lebensräume für seltene Tier- und Pflanzenarten
EW-Hagneck
Bevor die Aare den See erreicht, gilt es noch das Kraftwerk Hagneck zu passieren. Das Bild zeigt den Neubau des Wehrs im Frühjahr 2014
Das fertige Wehr anfangs August 2015. Das neue Kraftwerk ist umweltverträglicher und produziert rund 35% mehr Strom. Diese Steigerung erklärt sich aus der besseren Ausnutzung des verfügbaren Wasserdargebots
Drive-in. Die neue Fischtreppe wird offenbar gut frequentiert, wie die wartenden Fischreiher nahelegen
Blick ins alte Maschinenhaus. Eine Turbine wird auch weiterhin Strom produzieren
Der Bielersee! Hier erreicht der Aarelauf seinen westlichsten Punkt. Von nun an geht die Reise stets nach Nordosten, immer entlang des Juras, dessen Gebirgskette auf der anderen Seeseite zu sehen ist
Bielersee
Steckbrief Bielersee: Maximale Tiefe: 74 m Mittlere Tiefe: 29 m. Mittlere Wasseraufenthaltszeit: 54 Tage. Einzugsgebiet: 8’210 km. Die Aare liefert rund 70% des zufliessenden Wassers
Das Zusammenspiel von Erdrotation und Massenträgheit (Corioliskraft) erzeugt im Bielersee eine gegen den Uhrzeigersinn rotierende Strömung. So wird das einmündende Aarewasser bei Hagneck nach rechts – also dem Ufer entlang – nach Nidau „gedrückt“, wo es den See relativ schnell wieder verlässt.
Über den Zihlkanal gelangen bedeutende Zuflüsse aus der Westschweiz zur Aare. Normalerweise entwässert der Kanal vom Neuenburger- zum Bielersee. Bei Hochwasser kann sich die Fliessrichtung jedoch kurzfristig umdrehen
Ein gemütlicher Tag am See nimmt seinen Anfang
Schiffe der Bielerseeflotte. Neben den Jurarandseen wird auch die Aare zwischen Biel und Solothurn befahren
Nidau
Bei Nidau verlässt die Aare den Bielersee. Der eigentliche Abfluss befindet sich jedoch am Regulierwehr Port, das oben links im Bild zu erkennen ist
In Nidau blieb ein Teilstück des alten Zihllaufs erhalten. Es handelt sich dabei um einen weitgehend bedeutungslosen Altarm zwischen See und Nidau-Büren-Kanal
Regulierwehr-Port
Das Regulierwehr mit Schiffsschleuse (links)
Das Regulierwehr in Port bildet das hydrologische Zentrum der Juragewässerkorrektion. Es regelt über den Bielersee auch die Wasserstände der anderen, verbundenen Seen. Ferner bestimmt das Wehr – bis zu einem gewissen Grad – auch über das Abflussgeschehen im Unterlauf der Aare, was besonders bei Hochwasser spürbar wird.
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Schleuse
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10 jährliches Hochwasser anfangs August 2014
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Oberwasser
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EW-Brügg links neben dem Wehr
Die Eisenbahnbrücke bei Brügg stammt aus dem Jahre 1927. Die erste Brücke an dieser Stelle wurde bereits 1877 errichtet, also kurz nach Fertigstellung des Nidau-Büren-Kanals
Im Kanal werden viele Zahnder, Hechte, Flussbarsche, Bachforellen und Rotaugen gefangen
Es darf niemals vergessen werden, dass die Juragewässerkorrektion auch für beispiellose Zerstörungen in der Gewässerlandschaft steht. An dieser Stelle strebte einst eine lebendige und freie Zihl der Aare entgegen
Bei Meienried stösst die Alte Aare zum Hauptfluss zurück. Der monotone Mündungsbereich wird der wilden Schönheit dieses Gewässers in keiner Weise gerecht
Ankunft in Büren
Literaturangaben
Diese Seite ist überhaupt nicht für kleine Kinder geeignet weil es zu kompliziert ist und weil es schwierig ist zu verstehen
Ein gelungener Bericht, der keine der unterwegs anzutreffenden einzelnen grösseren und kleineren Bausünden schönredet, aber auch nicht schlechtredet, sondern mit Wort und Bild informativ darstellt, wie sich die vielgestaltige Flussstrecke in der Realität dem Spaziergänger und Bootsfahrer präsentiert (auch der obere Teil der Aare zwischen Aarberg bzw. sogar von Bern/Tiefenau und der Schleuse Hagneck ist schiffbar, mit kleineren Booten, habe ich selber ausprobiert). Erstaunlich bzw. zum Glück für die Natur, dass das Seeland touristisch nicht mehr daraus macht…
Sehr geehrter Herr Brand
Vielen Dank für Ihren Kommentar, dem ich in jedem Punkt nur zustimmen kann. Vielleicht gelingt es mir noch dieses Jahr, diesen Beitrag aus der Anfangszeit von aarelauf zu überarbeiten – schauen Sie also bei Gelegenheit mal wieder vorbei.
Freundliche Grüsse:
Sebastian Wälti
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